Ein Versuch in Tuchakrobatik: Ein Sack Erde in eleganter L-Form
Unsere Autorin ist auf der Suche nach der geeigneten Sportart. Dieses Mal hat es sie sich an ganz viel Stoff rangemacht.
W eiß nicht, ob ihr euch schon mal Tuchakrobatik reingezogen habt – das sieht aus, als würde da jemand – meistens Frauenkörper – einfach so durch die Luft schweben. Alles wirkt leicht und elegant, da drehen sich drahtige Akrobat:innen in den Tüchern, machen Spagate, fallen fast in die Tiefe – aber eben nur fast, denn im letzten Moment hält das Tuch, weil es sich irgendwo kunstvoll um die Knöchel geschlungen hat. Und weil in Berlin Studios mit Namen wie „L’air“, „Sol’air“ oder einfach nur „Luft“ gefühlt an jeder Ecke aus dem Boden sprießen, war klar, dass ich da irgendwann auch mal auf der Matte stehe.
Jetzt besuche ich an einem Montagabend also eine dieser Hallen, die extra hohe Decken haben, damit man da vernünftig herunterfallen kann. Ich will auch zu Luft werden, fühle ich mich aber eher wie ein Sack nasser Erde. Und bevor es überhaupt an die Tücher geht, stehen wir erst mal auf dem Boden. Dehnen, kreisen, rollen, aufwärmen auf Yogamatten. Nach zehn Minuten bin ich schon komplett durchgeschwitzt und denke: Ich kann nicht mehr. Aber dann geht’s ja eigentlich erst los.
Die Tücher sind in Pastellfarben gehalten und riechen leicht nach Fuß und Schweiß, aber fassen sich ansonsten ganz gut an. Für die erste Übung hängen wir etwa fünf Zentimeter über der Matte. Die Tücher um die Handgelenke geschlungen, bin ich etwas enttäuscht, ich hatte mir mich selbst im grazilen Spagat mindestens 3 Meter über den Boden vorgestellt. Gut, dafür muss ich heute allerdings erst mal lernen, wie man sich ordentlich hochzieht.
Mit Körperspannung. In einer „L-Form“, sagt die Trainerin. Ich sehe in der Spiegelwand eher ein schlappriges Fragezeichen. Ich ziehe und zittere, mein Bein steckt irgendwo im Tuch fest, kurz ergreift mich die Panik, weil ich nicht sicher bin, ob ich da allein wieder rauskomme.
Irgendwann erinnere ich mich dann aber an eine Bewegung aus dem Turnunterricht von früher in der Schule. Ich umklammere die Tücher, schwinge die Beine nach oben – ES GEHT! Und plötzlich hänge ich kopfüber, irgendwie in einer Form, die man vielleicht als T durchgehen lassen könnte. Es ist ein kurzer Moment, in dem ich nicht komplett versage, und das fühlt sich überraschend gut an. Danach ist die Stunde auch schon wieder vorbei, den Vorschlag der Trainerin, noch einmal selbst die gelernten Griffe und Tritte am Ende der Stunde zu probieren, schlage ich gern aus, denn nach der Übung muss ich mich erst einmal erholen, und mein Kopf ist feuerrot.
Am nächsten Tag tut alles weh. Besonders der Bauch, die Brust und die Unterarme haben entschieden, sich an die Erfahrung zu erinnern. Ich denke: Das war’s doch wert, oder? Denn Sport macht man ja bekanntlich auch für den Muskelaufbau. Und dann lege ich mich für drei Tage ins Bett. Luft war ich nicht. Eher Erde. Aber ich verstehe jetzt, was den Reiz ausmacht. Dieser Sport ist ein bisschen wie eine sehr persönliche Verhandlung mit der Schwerkraft – und mit dem eigenen Ehrgeiz. Man will irgendwie nach oben. Wenn man die L-Form hinbekommt, fühlt man sich nicht mehr wie ein Loser, und es trainiert wirklich den ganzen Körper. Ganz vielleicht, aber auch nur vielleicht mache ich das ja noch mal.
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